Die schmutzigen Geheimdienstoperationen mit der Hilfe einer Schweizer Firma

Spionage Operation

Spionage Operation

Screenshot by Rundschau / SRF

Eine Recherche der «Rundschau», des ZDF und der «Washington Post» enthüllt eine weltweite Abhöroperation von US-amerikanischen und deutschen Geheimdiensten. Eine zentrale Rolle spielten manipulierte Chiffriergeräte der Schweizer Firma Crypto AG.

Im Zentrum steht ein Aktenordner mit explosivem Inhalt: 280 Seiten, bisher unbekannte Papiere der Geheimdienste CIA und BND. Sie belegen eine weltweite Geheimdienstoperation. Die geleakten Papiere werfen ein höchst fragwürdiges Licht auf die Schweiz und auf das Zuger Unternehmen Crypto AG, eine Firma für Verschlüsselungstechnik.

Über manipulierte Chiffriermaschinen der ehemaligen Verschlüsselungsfirma horchten die Geheimdienste CIA und BND jahrzehntelang über hundert Staaten ab. Im Nahen Osten, in Asien, in Südamerika und auch in Europa wurde die geheime Kommunikation befreundeter und feindlicher Staaten abgefangen und ausgewertet. Alle abgehörten Länder hatten ihre Crypto-Chiffriermaschinen im guten Glauben in der neutralen Schweiz gekauft.

Welche Folgen hatte die Überwachungsoperation auf die internationale Politik der Nachkriegszeit? Wie gingen die Geheimdienstleute der CIA und des BND vor? Wie wurden die Schweizer Chiffriergeräte manipuliert? Was wussten die Schweizer Behörden? Und was bedeutet dieser Skandal für die Schweizer Neutralität?

Antworten auf diese Fragen liefert die «Rundschau»-Sondersendung

«Ein riesiges Problem für die Schweiz»

Der grüne Ex-Nationalrat Jo Lang hat schon manche streitbare Zuger Firma scharf kritisiert. Im Fall Crypto AG fordert er eine PUK. Die Vorgänge sowie mögliche Verstrickungen von Politikern müssten ans Licht gebracht werden.

«Die Tatsache, dass Länder mithilfe von Geräten der Crypto AG ausspioniert wurden, überrascht mich nicht», sagt der ehemalige grüne Zuger Nationalrat Jo Lang im «Tagesgespräch» von Radio SRF. Dass jedoch auch Staaten wie Österreich oder der Vatikan «von dieser Zuger Firma verarscht worden sind», überrasche ihn sehr wohl.

Dass die Crypto AG während Jahrzehnten aus der Schweiz heraus manipulierte Chiffriergeräte in alle Welt verkauft habe, sei ein «riesiges Problem für die Schweiz», sagt Lang. Aus heutiger Sicht sei der aussenpolitische Einfluss der Crypto AG in den letzten Jahrzehnten grösser gewesen als jener der offiziellen Schweizer Aussenpolitik. Auch werde durch #cryptoleaks klar, dass die Schweizer Neutralität «sehr pro-amerikanisch» war.

Jo Lang verlangt eine PUK

Deshalb: «Von dem Skandal ist nicht nur die Crypto AG betroffen, sondern die ganze Schweiz mit ihrer Neutralität», sagt Lang. «Es braucht jetzt eine Parlamentarische Untersuchungskommission.» Nur eine PUK habe die Kompetenz, Personen aus der Bundesverwaltung verbindlich vorzuladen und unter Druck setzen.

Die Erkenntnisse aus #cryptoleaks bedeuteten auch, dass sich die offizielle Schweiz bei allen Ländern entschuldigen müsse, die unter dem Deckmantel der Schweizer Neutralität manipulierte Chiffriergeräte gekauft hätten, sagt Lang. «Das Allerdümmste wäre, jetzt so zu tun, als wäre gar nichts passiert.»

Der Historiker betont, dass der Verdacht, dass die Crypto AG ein Ableger der CIA sein könnte, schon 1995 in den Medien breit diskutiert worden sei. «Ich verstehe deshalb nicht, wieso der Schweizer Nachrichtendienst dem Verdacht nicht viel hartnäckiger nachgegangen ist.»

Köpfe von Bühler und Seiler sollen rollen

Lang übt denn auch scharfe Kritik am heutigen Vizedirektor des Schweizer Nachrichtendienstes Jürg Bühler, der in den 1990er-Jahren die Vorermittlungen der Bundespolizei gegen die Crypto AG leitete, sowie am heutigen Generalsekretär im Aussendepartement, Markus Seiler, der von 2009 bis 2017 Chef des Nachrichtendienstes war.

«Sie sind aus neutralitätspolitischen Gründen nicht mehr tragbar», so Lang. Sowohl Bühler als auch Seiler verträten eine einseitig-proamerikanische Sicht. «Unsere Geheimdienste waren keineswegs neutral.»

Er könne sich nicht vorstellen, dass Politiker wie der langjährige Verwaltungsratspräsident der Crypto AG und ehemalige Zuger Regierungsrat und Nationalrat Georg Stucky nichts davon gewusst hätten, dass die Firma dem US- und deutschen Geheimdienst gehörte, so Lang weiter. «Die Crypto AG hat zu jenen Zuger Firmen gehört, die enge Kontakte ins Bürgertum hatten.»

Immer wieder Zuger Firmen im Zwielicht

Für Zug bedeute #cryptoleaks bloss einen weiteren Leak-Skandal, in den Zuger Firmen verstrickt sind: Panama-Leaks, Paradise-Leaks, Angola-Leaks. Immer seien Zuger Firmen im Fokus, wenn es um zumindest moralisch fragwürdige Machenschaften gehe. «Das wird so weitergehen – darüber darf man sich keine Illusionen machen», ist Lang überzeugt.

Und für die Schweizer Hightech-Industrie könne sich die Geheimdienstaffäre durchaus nachteilig auswirken: «Man kann der Schweiz nicht mehr trauen. Weder politisch noch technologisch», so der grüne Politiker.

Quelle: SRF

13.2.2020

Jo Lang – Kritiker dubioser Zuger Firmen

Der Zuger Jo Lang sass ab 1982 zunächst für die Sozialistische Arbeiterpartei und ab 1986 für die Sozialistisch Grüne Alternative Zug im dortigen Stadtparlament. 1994 wechselte Lang in den Kantonsrat, von 2003 bis 2011 sass er im Nationalrat und politisierte dort in der grünen Fraktion. Auch war er einer der Mitgründer der Gruppe Schweiz ohne Armee (GsoA). Der Historiker hat sich in den vergangenen Jahrzenten intensiv mit Überwachung, Fichierung und der Schweiz als neutraler Staat auseinandergesetzt.

Mitte der 1990er-Jahre sei das Thema Crypto AG neben dem Rohstoffkonzern Glencore und dessen Gründer Marc Rich für ihn und seine politischen Zuger Mitstreiter eines der wichtigsten Themen gewesen, sagt Jo Lang. Damals sei die Firma aber vor allem wegen ihrer Zusammenarbeit mit fragwürdigen Regimes wie Südafrika oder Saudi-Arabien kritisiert worden.

Was ist eine PUK genau?

Im Rahmen der Aufgabe der Oberaufsicht über den Bundesrat, die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und anderen Bundesorganen kann die Bundesversammlung eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einsetzten. Der Nationalrat und der Ständerat haben das Recht, eine PUK einzusetzen, um Vorkommnisse von grosser Tragweite abzuklären.

PUK haben weitreichende Kontrollrechte, so dürfen sie Akten einsehen und Hearings (Befragung von Beamten, Anhörung von Fachleuten) durchführen, doch dabei ist die Untersuchung auf die Abklärung einer bestimmen Frage beschränkt.

Wichtig ist der Grundsatz, dass eine PUK kein Strafgericht und auch keine Disziplinarbehörde ist. Die Einsetzung erfolgt in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses. Initiiert wird dieser Beschluss auf dem Weg einer parlamentarischen Initiative eines Ratsmitgliedes resp. einer Fraktion oder einer Kommissionsinitiative. Die Einsetzung erfolgt nach Anhörung des Bundesrats.

Die bisherigen PUK

Bisher wurden in der Schweiz vier Parlamentarische Untersuchungskommissionen durchgeführt.

• 1964: Untersuchung des fragwürdigen Vorgehens bei der Beschaffung von Mirage-Kampfflugzeugen («Mirage-Affäre»)

• 1989: Untersuchung – im Zusammenhang mit den Ereignissen um den vorzeitigen Rücktritt von Bundesrätin Elisabeth Kopp, der Amtsführung des EJPD (insb. der Bundesanwaltschaft), und des Vorgehens bei der Bekämpfung der Geldwäscherei und des internationalen Drogenhandels (vgl. «Fichen-Affäre»).

• 1990: Untersuchung der Tätigkeit des militärischen Nachrichtendienstes, der Führung von Personendateien im Eidg. Militärdepartement und des Vorhandenseins geheimer Widerstandsorganisationen und ausserordentlicher Nachrichtendienste (Geheimarmeen P-26 und P-27).

• 1996: Untersuchung der Organisations- und Führungsprobleme bei der Pensionskasse des Bundes und der Amtsführung des Eidg. Finanzdepartementes.

Deshalb ist #cryptoleaks keine Bagatelle

#Cryptoleaks beweist erstmals, dass tatsächlich Geräte der Zuger Firma Crypto AG manipuliert worden sind. Aber nicht nur:

• Erstmals zeigen Dokumente, dass die Nachrichtendienste CIA und BND (Deutschland) die Schweizer Firma Crypto AG in Besitz genommen hatten um von der Schweiz aus Drittstaaten auszuspionieren.

• Erstmals liegen auch Beweise zur Fülle der betroffenen Ereignisse vor (u.a. Falklandkrieg, Iran/Irak-Krieg, Putsch in Chile).

• Erstmals gibt es Belege, die zeigen, dass Vertreter des Schweizer Geheimdienstes eingeweiht waren – bisherige Untersuchungen kamen zu einem anderen Ergebnis.

Aufgrund der Recherche der «Rundschau» hat der Bundesrat reagiert: Er sisitierte die Ausfuhrbewilligung von Geräten der Firma Crypto International AG (eine der zwei Nachfolgefirmen der Crypto AG) umgehend und veranlasste eine Untersuchung der Affäre durch Niklaus Oberholzer, einen ehemaligen Bundesrichter.

Ebenfalls als Folge von #Cryptoleaks fordern die linken Parteien SP und Grüne nun eine parlamentarische Untersuchungskommission PUK. Ausserdem ist auch Petra Gössi, die Parteipräsidentin der FDP, gegenüber einer PUK nicht abgeneigt. Jetzt stellt sich die Frage, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundes die Neutralität der Schweiz verletzt haben.