Ist Schweizer Zucker ein Auslaufmodell?

Die Zuckerproduktion in der Schweiz wird vom Bund durch Subventionen und Zölle gestützt. Doch diese Massnahmen laufen Ende 2021 aus. Was danach passiert ist offen.

Immer weniger Bauern bauen Zuckerrüben an. Für viele rentiert es sich nicht mehr. «Der Preiszerfall war sehr ausgeprägt in den letzten Jahren», sagt Martin Ruefer, Direktor des Schweizer Bauernverbands. Die Bauern erhielten in den letzten Jahren immer weniger Geld für ihre Zuckerrüben.

Gekauft werden die Rüben von der Schweizer Zucker AG, dem Unternehmen, das in seinen zwei Werken in Aarberg (BE) und Frauenfeld (TG) Zucker herstellt. In den letzten fünf Jahren ist der Preis für Zuckerrüben von knapp 70 Franken pro Tonne auf etwas über 50 Franken gesunken.

Die Bauern steigen aus

Der Grund für den tieferen Rübenpreis liegt beim Zuckerpreis, der in den letzten fünf Jahren ebenfalls gesunken ist. Die Schweizer Zuckerfabrik gibt den tieferen Preis nämlich über den Rübenpreis an die Bauern weiter. Doch warum ist der Zuckerpreis tief?

2017 wurden in der Europäischen Union die Mengen- und die Exportbeschränkungen aufgehoben. Das heisst, Bauern in der EU können seither so viel produzieren und exportieren, wie sie möchten.

Tatsächlich haben die Bauern in der Folge auch mehr produziert. Weil die Zuckermenge dadurch zunahm, sind die Preise gesunken. Und weil der Schweizer Zuckermarkt eng mit dem europäischen verbunden ist, drückte das auch den Preis in der Schweiz.

Schweizer Zucker

Schweizer Zucker

Bild ZVG Zuckermühle Rupperswil

Subventionen und Zölle schützen Schweizer Zucker

Um die Schweizer Zuckerproduktion zu stützen, hat der Bundesrat deshalb ab 2019 ein Massnahmenpaket geschnürt, das bis 2021 befristet ist.

Es gibt nun seit 2019 einen Mindestzoll von 70 Franken pro Tonne Zucker, vorher lag er bei 20 Franken. Der höhere Mindestzoll soll dazu führen, dass Zucker aus der EU nicht billiger ist als Schweizer Zucker und dieser so wettbewerbsfähig bleibt.

Ausserdem erhalten die Bauern mehr Geld dafür, dass sie Zuckerrüben anpflanzen: 300 Franken mehr pro Hektare oder neu 2100 Franken. Doch trotz dieser höheren Flächenbeiträge rentiert sich für viele Bauern die Produktion immer noch nicht.

Die höheren Subventionen konnten nämlich laut dem Schweizer Bauernverband den Preiszerfall bei den Zuckerrüben nicht ganz kompensieren. Entsprechend hat die Zahl der Zuckerrübenpflanzer abgenommen – seit 2017 um knapp 12 Prozent auf rund 4300 Bauern.

Seit den Massnahmen des Bundesrates ist der Zuckerpreis also noch nicht genug gestiegen. Bei der Zuckerfabrik heisst es, die Massnahmen würden nicht sofort greifen. Denn mit vielen Zucker-Abnehmern hätten sie Mehrjahresverträge abgeschlossen, sodass der Zuckerpreis und damit auch der Rübenpreis nicht sofort erhöht werden könne.

Zuckerproduktion rentiert nicht

Es gibt also immer weniger Rübenproduzenten. Das stellt auch die Schweizer Zucker AG vor Herausforderungen, erklärt Martin Wanner auf dem Rundgang durch die Zuckerfabrik Aarberg. Er arbeitet dort im technischen Büro.

Eine Zuckerfabrik brauche nämlich eine gewisse Mindestmenge an Zuckerrüben, um rentabel produzieren zu können. Die Anlagen zur Herstellung von Zucker bräuchten sehr viel Energie, wenn sie einmal hochgefahren sind, sagt Wanner.

Zurzeit findet in Aarberg gerade die sogenannte Zucker-Campagne statt. «Der Zucker, der in flüssiger Form den Winter über in grossen Tanks gelagert worden ist, wird ins Zuckerhaus gepumpt, um daraus Zucker zu gewinnen», erklärt Martin Wanner. Im sogenannten Zuckerhaus riecht es nach Rüben. Der Geruch erinnert an Karamell.

In grossen Tanks wird der Zucker-Dicksaft unter Hochdruck gekocht. Danach wird Puderzucker beigegeben, um die Kristallisation zu beschleunigen. Am Ende des Kristallisationsprozesses entsteht ein Gemisch aus Zuckerkristallen und Sirup.

Vor dem nächsten grossen Tank erklärt Martin Wanner: «In der Zentrifuge wird der Zucker abgeschleudert. Danach wird er getrocknet und eingelagert.» Rund 270’000 Tonnen Zucker produzierten die Zuckerfabriken in Aarberg und Frauenfeld so im vergangenen Jahr.

Brauchen wir Schweizer Zucker?

2021 laufen die Stützungsmassnahmen des Bundesrates aus. Die Frage stellt sich darum: Gibt es danach die Schweizer Zucker AG noch?

Laut der Schweizer Zuckerfabrik braucht es den Zollschutz und die zusätzlichen Subventionen für die Bauern, damit sie in der Schweiz Zucker produzieren könnten. Sei der Zuckerpreis zu tief, rentiere sich die Produktion in der Schweiz nicht.

Doch warum braucht die Schweiz überhaupt inländischen Zucker? Ginge es nicht auch ohne? Bei dieser Frage argumentieren die Verantwortlichen der Zuckerfabrik mit der Nachhaltigkeit. Schweizer Zucker belaste die Umwelt laut einer Studie 30 Prozent weniger als Zucker aus der EU.

Die Studie war allerdings von der Schweizer Zucker AG in Auftrag gegeben worden. Kritik kommt unter anderem von Vision Landwirtschaft, einer Denkwerkstatt unabhängiger Agrarfachleute, die sich für eine nachhaltige und wirtschaftlich starke Landwirtschaft einsetzt.

«Die Ergebnisse der Studie beruhen auf unzähligen schwer überprüfbaren – teils problematischen – Annahmen und Schätzungen», bemängelt Vorstandsmitglied Felix Schläpfer.

Angesprochen auf diese Kritik heisst es bei der Schweizer Zucker AG: «Das ist eine ziemlich komplexe, aber ausgewogene Studie, da wird es immer einzelne Annahmen geben, die unterschiedlich bewertet werden.»

Ausserdem sei die Studie von einer zweiten unabhängigen Firma kritisch begutachtet und beurteilt worden. Wie so häufig bei Nachhaltigkeitsstudien sind sich die Experten also uneinig.

Zucker als Notvorrat

Neben der Nachhaltigkeit argumentiert die Schweizer Zucker AG auch mit der Landesversorgung für Schweizer Zucker. Zucker sei wichtig, um in Krisen die Schweizer Bevölkerung ernähren zu können, weil er in kleinen Mengen sehr viele Kalorien liefern könne, sagt Guido Stäger, Geschäftsführer der Schweizer Zucker AG: «Wir sind der Meinung, Zucker gehört zu einem vernünftigen Selbstversorgungsgrad».

Auch hier sind die Meinungen geteilt. Patrick Dümmler von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse sieht es anders. «Falls wir in einer Krise auf uns selbst gestellt wären, könnten wir auch nicht löffelweise Zucker essen». Das sei gesundheitlich eine falsche Strategie, findet er. «Deshalb denke ich, dass die Bedeutung für die Versorgungssicherheit übertrieben ist.»

Die Meinungen sind geteilt. Letztlich ist es also eine politische Frage, ob die Schweiz eigenen Zucker produzieren will. Auch wird die Politik entscheiden müssen, welcher Preis in Form von Subventionen dafür bezahlt werden soll.

Quelle: SRF / Wirtschaftsmagazin «Trend»*

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25.5.2020