Gewählt wurde er vom Bundesrat schon im vergangenen November. Offizieller Amtsantritt war der 1. April. Christian Rüegg übernimmt das Ruder des Paul Scherrer Instituts PSI in einer anspruchsvollen Zeit. Die Corona-Pandemie ist auch eine Herausforderung für grosse Organisationen und Arbeitgeber wie das PSI. Die einzigartigen Forschungseinrichtungen des PSI bieten aber auch Möglichkeiten für die Erforschung des Virus und damit dessen Bekämpfung. Seine Pläne für die Zukunft des Instituts gibt Rüegg hier preis.
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende und ist damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
In Forscherkreisen geniesst das Institut weltweit einen exzellenten Ruf. Seine vier Grossforschungsanlagen sind in der Schweiz einzigartig und manche Geräte gibt es weltweit nur am PSI.
Professor Dr. Christian Rüegg
Christian Rüegg vor der Spallations-Neutronenquelle SINQ des PSI, mit deren Hilfe unter anderem neue Materialien untersucht werden. Foto Scanderbeg Sauer Photography. Bild ZVG PSI
Zukunftspläne
Um die internationale Spitzenposition des Instituts beizubehalten, hat Christian Rüegg schon Pläne: So soll die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI ein Upgrade erhalten, damit sie auch in zehn Jahren noch genauso wie heute zu den besten Anlagen ihrer Art gehört. Dazu soll die Fokussierung des Röntgenlichts, das in der Anlage produziert wird, bis zu 40-fach verbessert werden. So schrumpft durch das Upgrade der Durchmesser des Röntgenstrahls und dies ermöglicht den Forschenden an der SLS einen noch viel schärferen Blick in Materialien zu werfen, um sie auf ihre Eigenschaften zu untersuchen. Das so gewonnene Wissen kann dann für die Entwicklung neuer Technologien oder Medikamente verwendet werden. So steht die SLS auch in der aktuellen Situation Forschenden für das Bestimmen von Molekül- und Proteinstrukturen des Corona-Virus zur Verfügung.
An der Spallations-Neutronenquelle SINQ des PSI werden ebenfalls neue Materialien untersucht. Besonders interessant ist dabei, dass man mit den Neutronen gut durch Metalle schauen kann, was mit Röntgenlicht sehr schwierig ist. Das hilft beispielsweise bei der Entwicklung neuer Materialien oder unterstützt Archäologen bei der Entschlüsselung historischer Rätsel. An der SINQ wird gerade die Neutronenoptik erneuert, die die Neutronen von der Spallationsquelle zu den Instrumenten führt, an denen die Experimente stattfinden. Das nächste Ziel ist die Erneuerung dieser Instrumente selbst. Insgesamt vier davon werden mit neuester Technik versehen, die von den Forschenden am PSI selbst und in internationaler Zusammenarbeit entwickelt wird.
Auch für die neueste Grossforschungsanlage des PSI, den SwissFEL, hat der neue PSI-Direktor ehrgeizige Pläne. «Frisch in Betrieb gegangen dauert es erfahrungsgemäss etwa acht Jahre, bis eine komplexe Forschungsanlage zu ihrer vollen Reife ausgebaut ist. In dieser Zeit wird sich der SwissFEL zu einer weltweit führenden Messeinrichtung für die Erforschung ultraschnell ablaufender Vorgänge entwickeln», ist Rüegg überzeugt. Und zwar für Veränderungen, die auf der Ebene einzelner Moleküle oder gar Atome so schnell ablaufen, dass man sie bisher nicht beobachten konnte. Dadurch ist es dann möglich, nicht nur den Vorher- und Nachherzustand eines Vorgangs zu beobachten, sondern auch den Moment der Veränderung selbst, zum Beispiel während einer chemischen Reaktion. Die Forschenden verwenden dazu den Begriff «Nichtgleichgewichtszustand». Wenn man genau versteht, was in diesem Zustand passiert, kann man dieses Wissen zum Beispiel für die Schaffung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe nutzen.
In einer Führungsrolle sieht Rüegg das PSI bei der Erarbeitung von Lösungen für die grossen technologischen Herausforderungen bei der Umsetzung der Schweizer Energiestrategie 2050. Im Rahmen des neuen Energieforschungsprogramms SWEET des Bundesamts für Energie wird sich das Institut auf Technologiefragen und die Systemintegration der erneuerbaren Energiequellen fokussieren. Im Vordergrund steht dabei die Forschung zur Energiespeicherung, deren Effizienz sowie die Forschung zu Energiedienstleistungen, die für die Netzstabilisierung erforderlich sind.
Zusammenfassend stellt sich für den neuen Direktor die grosse Bandbreite der am PSI erforschten Themen so dar: «Mithilfe der weltweit einzigartigen Kombination von extrem leistungsfähigen Grossforschungsanlagen und dem gebündelten Knowhow unserer Forschenden, Ingenieurinnen, Technikern und Lernenden erzielen wir einerseits neue Erkenntnisse in der Grundlagenforschung, andererseits kann man damit auch Anwendungen entwickeln, die vielen Menschen das Leben erleichtern oder sogar retten.» So hilft das PSI beispielsweise Batterien effizienter zu machen, neuartige Behandlungsmethoden in der Protonen- oder Radionuklidtherapie für Krebspatienten zu finden sowie Nanoroboter zu konstruieren, die sich über Magnetfelder steuern lassen. In der Grundlagenforschung leistet das Institut beispielsweise Pionierarbeit bei der Entschlüsselung der quantenmechanischen Eigenschaften von magnetischen Materialien oder der Aufklärung des grundsätzlichen Aufbaus von Materie.
Bei derart vielfältiger Forschung fallen während der dafür notwendigen Messungen riesige Datenmengen an, die ausgewertet werden müssen, um aus den wissenschaftlichen Ergebnissen für unsere Gesellschaft nützliche Erkenntnisse ziehen zu können. «Hier droht ein Flaschenhals, wenn die Computerwissenschaften sich nicht im gleichen Masse weiterentwickeln wie die Experimentiermöglichkeiten. Diesem Umstand müssen wir Rechnung tragen und uns deshalb auch hier stärker engagieren. Das machen wir, indem wir mit den anderen Institutionen im ETH-Bereich und mit der Industrie zusammenarbeiten. Dazu gehört natürlich auch die Ausbildung des Nachwuchses», findet Christian Rüegg.
Karriere
Christian Rüegg stammt aus dem Kanton Aargau, studierte Physik an der ETH Zürich und promovierte 2005 im Labor für Neutronenstreuung der ETH Zürich und des PSI. Anschliessend war er von 2005 bis 2011 im London Centre for Nanotechnology des University College London UCL tätig. Er war Royal Society University Research Fellow und Assistant und Associate Professor an der UCL. Von 2011 bis 2016 leitete er am PSI das Labor für Neutronenstreuung und Imaging. Seit 2017 ist er Leiter des Forschungsbereiches Neutronen und Myonen am PSI und seit Mai 2018 Mitglied der PSI-Direktion. Zudem ist er seit 2012 Professor an der Universität Genf und wird nun eine gemeinsame Professur an der ETH Zürich und der EPF Lausanne innehaben. Rüegg ist Festkörperphysiker und arbeitet an Quantenphänomenen im Magnetismus. Er hat einige namhafte Wissenschaftspreise für seine Arbeiten erhalten, darunter den Lewy-Bertaut Prize und den Nicolas Kurze European Science Prize sowie ein ERC Grant. Er hat die Nutzung und die Weiterentwicklung der Instrumentierung an der Schweizer Neutronenquelle SINQ und an den europäischen Neutronenquellen ILL und ESS entscheidend mitgestaltet und vertritt das Forschungsfeld in zahlreichen internationalen Gremien. Christian Rüegg lebt zusammen mit seiner Partnerin, einer Anästhesistin, und dem gemeinsamen Sohn in Aarau. Chancengleichheit von Männern und Frauen ist beiden ein wichtiges Thema.
Quelle: Text: Paul Scherrer Institut / Dagmar Baroke
2.4.2020
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 407 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.